Innoflash #72 mit Ragnar Heil | HanseVision
Autor*IN Amy Cotton Veröffentlicht: 1. Oktober 2024 Kategorie Blog , Innoflash Innoflash #72 m
Es ist Januar 2021. Die Gesellschaft ist zutiefst gespalten.
Selbsternannte Eliten diskutieren über die Zukunft der Arbeit, den Umgang mit der erneuten Niederlage von Friedrich März, die Rolle von Frauen in den Vorstandsetagen des DAX und wie das eigene Instagram-Profil im nächsten Jahr endlich durchstarten kann. Alle anderen haben ein Android Telefon. Oder noch keinen „Invite“ bekommen. Die Rede ist natürlich von der neuen Social Media Sensation Clubhouse.
Clubhouse ist eine audio-basierte Social-Media-App. Ganz im Gegensatz dazu stehen Instagram und TikTok, die eher auf (Bewegt-) Bild-Content setzen und natürlich LinkedIn, Facebook und XING, die Inhalte eher über Text vermitteln. Bei Clubhouse gibt es keine Likes, keine Kommentare, kein Teilen.
Die Plattform nutzt das Prinzip „Drop-in“ (vorbeikommen, auf einen Besuch hereinkommen, reinschauen, auf einen Sprung vorbeikommen, hereinschneien). Ein Nutzer kann sich spontan in sogenannte Räume einwählen. Hier sprechen Menschen mit anderen Menschen zu verschiedensten Themen. Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt. Clubhouse ist quasi ein 24/7 Live-Podcast mit bekannten und unbekannten Akteuren. Denn die Influencer aus den anderen Netzwerken sind natürlich längst da. Eines haben aber alle, egal ob Promi, Influencer oder Normalo, gemein: Es gibt verschiedene Rollen.
Nun… Moderatoren eben. Sie leiten die Diskussion und geleiten die Sprecher „auf die große Bühne“. Und können diese natürlich auch wieder entfernen.
Bei Clubhouse werden die aktiven Diskussionsteilnehmer (oder Panelisten) Sprecher genannt. Sie können selbstständig ihr Mikrofon muten und entmuten und somit Wortbeiträge abliefern.
Jeder User, der einfach nur in die verschiedenen Räume schaut und die gesprochenen Worte konsumiert, heißt „Zuhörer“. Wen dann aber doch die Redelust packt, kann per Knopfdruck Eure virtuelle Hand heben und so den Moderatoren signalisieren, dass sie etwas sagen wollen. Ob sie „drankommt“ liegt aber außerhalb ihrer Entscheidung. Einfach reinplappern funktioniert also nicht.
Um einen möglichst großen Zuhörerkreis zu aktivieren, biete der neue Stern am Social Media Himmel natürlich die Möglichkeit eine Diskussionsrunde vorzuplanen.
Die Gründer Paul Davison und Rohan Seth haben die App im letzten Jahr „erfunden“ und hatten im Mai eine Unternehmensbewertung von 100 Millionen US-Dollar – mit nur 1500 angemeldeten Usern! Es war also früh klar, dass die Chancen unermesslich hoch sind, im Gegenzug aber auch enorme Markterwartungen auf dem Team lasten.
Die Entscheider*innen bei Clubhouse haben sich nun ein paar Marketing-Klassikern bedient, um die Erwartungen an ein blitzschnelles Wachstum auch tatsächlich zu erfüllen.
P.S. We’re iPhone only right now
Das kriegen wir als Nutzer angezeigt, wenn wir Freunde zu Clubhouse einladen möchten. Ein kleiner Hinweis den man unterschiedlich interpretieren kann.
Variante A) Wir haben uns bei der Programmierung auf ein Betriebssystem fokussiert, um die beste Nutzererfahrung bereitzustellen.
Variante B) Wir sind die Plattform für Menschen, die etwas auf sich halten und lassen nur Menschen rein, die 500 bis 1300 € für ein iPhone ausgeben.
–> Exklusivität.
Gegen Variante A spricht übrigens der Marktanteil von Android-basierten Telefonen. Denn wenn man sich schon auf eine Plattform bei der Programmierung konzentriert, dann sollte dies unserer Meinung nach die sein, mit der man möglichst viele Menschen erreichen kann.
Zu Clubhouse muss man eingeladen werden. Das ist was ganz feines. Da kann nicht einfach so jeder kommen. Nein, nein. Auch Geld haben (Siehe 1 – Exklusivität) reicht nicht. Man braucht ein Invite. Wer es irgendwie geschafft hat eingeladen zu werden, erhielt zunächst die Möglichkeit 2 Einladungen weiterzuschicken. So wuchs die Nutzerschar von Clubhouse im Schneeballprinzip rasch an, doch hatte jede*r Einzelne immer noch ein Gefühl von Macht und stand vor der Qual der Wahl. Als Auserkorene*r kann man sich geschmeichelt fühlen.
Mittlerweile schiebt Clubhouse regelmäßig „Invites“ nach, um fleißige Nutzer*innen zu belohnen.
Wer seine Plattform startet und Dranke, Paris Hilton und Oprah dazu motiviert Social Media wirksam beizutreten, macht scheinbar einiges richtig. In Deutschland hat diese Rolle eine ziemlich breite Influencer-Front von LinkedIn und Instagram übernommen. Deren Themen gehen von Sport über Mode zu Politik bis hin zu Umweltaktivismus. Für jede*n was dabei. Aber Moment mal, wer sagt eigentlich, dass Leute die sonst hübsche Bilder posten gute Gesprächspartner sind? Naja…
Wie so oft, findet sich im Netz zu Clubhouse eine ganze Menge Kritik. Allem voran bietet die Plattform in Punkto Datenschutz eine ziemlich offene Flanke. Der Einladungsmechanismus von Clubhouse ist an das Adressbuch geknüpft. Um Menschen einladen zu können, muss der Nutzer der App Zugriff auf alle gespeicherten Telefonnummern geben. VOLLKATASTROPHE. Aber ehrlicherweise auch nicht schlimmer als bei WhatsApp und Co.
Zweiter Kritikpunkt ist die eingeschränkte Teilhabe. Klar kann man die Betreiber dafür kritisieren. Aber eigentlich muss man sagen: Alles richtig gemacht. Die FOMO [fear of missing out, Angst etwas zu verpassen] ist so groß, dass öffentliche Diskurse über die App stattfinden.
Aus unserer Sicht sollte man hier aber weniger die Plattform kritisieren, als vielmehr die vermeintlich so weltoffenen Influencer, die aus Coolness und Prestige Gründen ihren Diskurs hier führen.
Neben wahrscheinlich unfassbar vielen weiteren Ningeleien, die sich noch finden ließen, ein letzter Punkt der Kritik: YouTube, Facebook, Twitter und Co. sind richtig scheiße darin, Hatespeech, Rassismus, Frauenfeindlichkeit usw. zu verhindern. Und darüber wird viel gesprochen. Deshalb scheint es einfach nur hirnverbrannt, beim Setup einer Plattform wie Clubhouse, die darauf ausgelegt ist, möglichst schnell zu wachsen, nicht von vorn herein einen Plan zur Unterbindung solcher Entwicklungen zu entwickeln.
Bei #digidingens geht es um Erklärungen von Begriffen. Trotzdem hat sich in diesen Beitrag relativ viel persönliche Wertung eingeschlichen. Denn diese App hätte alle Möglichkeiten gehabt etwas großartiges zu sein. Audio-only. Wie eine riesige Telefonkonferenz. Irgendwie nostalgisch, irgendwie passend in die heutige Zeit, in der alle müde sind von den ganzen Video-Calls und der ganzen Oberflächlichkeit von Instagram & LinkedIn. Was für eine Verlockung. Social Media machen, ohne sich rauszuputzen. Geschweige denn eine richtige Hose zu tragen. Was sagst du jetzt Karl?!
Und da liegt die Krux. Die Art und Weise wie Clubhouse aufgezogen wurde, macht es kaum möglich, sich in Ruhe damit vertraut zu machen. Es waren sofort die gleichen, schon 47.000 mal auf anderen Plattformen diskutierten, Themen da. Mode, Geld, Entrepreneurship, Diversity, Female Leadership, Soziale Gerechtigkeit, Umweltsachen, Coronasachen, Digidingenssachen, …Sachen halt. Und berichtet werden Sie von den immer gleichen, völlig undiversen Menschen, denen ich schon auf LinkedIn folge. Oder Instagram. Oder Twitter. Und denen folgen auch genau die gleichen Leute wie auf LinkedIn, Instagram oder Twitter. Es sei denn sie haben Android. Dann natürlich nicht. Sonst aber genau das gleiche. Nur mit live rausgeblubbertem Ton. Ist ja nicht so, dass die alle keine Podcasts hätten. Podcasts sind das neue Vinyl.
Wenn die Macher von Clubhouse jetzt noch kurz vor dem Massenrollout eine Monetarisierungs-Funktion für Ihre „Influencer“ einbauen ist das Ende des Produktlebenszyklus erreicht und wir können wieder zurück zu Instagram.
Euer
Basti
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